Vom hoffnungsvollen Skiass zum Extremkletterer

Pressebericht von 1986

„21-jähriger Allgäuer bezwingt im Alleingang die Matterhorn-Nordwand“

Es ist ein Berg der Superlative, ein Traumziel für viele Alpinisten: das 4477 Meter hohe Matterhorn. Auch heute noch, 55 Jahre nach der Erstbesteigung der Nordwand, hat das mächtige Felsmassiv nichts von seiner Faszination verloren. 1931 bezwangen erstmals die Brüder Franz und Toni Schmid die gefährliche Steilflanke. Sie erhielten sogar dafür die Olympische Goldmedaille zugesprochen.

Mit Sicherheit einer der jüngsten Nordwandbezwinger ist der 21-jährige Allgäuer Walter Hölzler. Und der seillose Alleingang durch die frisch verschneite Matterhorn-Nordwand stellt den bisher größten Erfolg des jungen Alpinisten dar.

Noch vor einem Jahr gehörte Walter Hölzler zum B-Kader der Deutschen Ski-Nationalmannschaft. Er war 1982 Deutscher Juniorenmeister im Abfahrtslauf und noch im gleichen Jahr belegte er den 4. Platz, bei der Junioren-Weltmeisterschaft in Frankreich. 1983 lag Walter Hölzler auf Platz 1 in der Junioren-Weltrangliste im Abfahrtslauf. Schlimme Stürze und schwere Verletzungen bei Weltcuprennen beendeten dann im Frühjahr 1985 die vielversprechende Karriere des Allgäuer Skirennläufers.

Hartes Training
Von nun an widmete sich der „geborene Sportler“ immer mehr dem Extrem-Bergsteigen, das er schon mehrere Jahre als Ausgleichssport betrieben hatte. Durch hartes Training konnte der in der Sonthofener Sportschule stationierte Soldat seinen Leistungsstand so verbessern, dass ihm noch im selben Jahr hervorragende Begehungen gelangen. Und dann kam der Griff nach den Sternen: der Wunsch, die „düstere Mauer“ im Alleingang zu bezwingen. Klar und deutlich sieht Walter Hölzler den 21. Juli 1986 vor sich.

Vormittags erreichte er vom Bergsteiger-Paradies Zermatt aus die Hörnli-Hütte. Sie ist Ausgangspunkt für den Normalweg zum Matterhorngipfel. Zwischen hunderten von Bergsteigern aus aller Welt ist der junge Alpinist aus dem Allgäu allein mit seinen Problemen.

Immer wieder stellt er sich die Frage: „Soll ich wirklich in die Wand gehen?“ Wochenlang hat er sich mit dieser gefährlichen Besteigung befasst. Der 21-Jährige hat viel gelesen über die grausige Eisflanke, die ihn erwarten wird. Über die todbringenden Geschosse, die über ihn herab prasseln können, wenn nicht starrer Frost und angefrorener Neuschnee Steine und Felstrümmer halten. Trotz des Alleinganges wird er einen Begleiter haben: das Wetter. Es kann zum Freund, aber auch zum unerbittlichen Feind werden. Doch am Abend des 21. Juli sagt ihm seine innere Stimme: „Es ist gut, du kannst es schaffen.“

Eine richtige Hochgebirgsnacht mit Vollmond und Sternenhimmel erwartet Walter Hölzler, als er um drei Uhr des nächsten Tages – nach einer leichten Mahlzeit mit Tee und Müsli aufbricht. Dass es zu warm ist, beunruhigt ihn ein wenig. Der Schnee wird nicht gefroren sein…

Schwarze Löcher
Im schwachen Schein der Stirnlampe schafft er die Querung zur Nordwand in kurzer Zeit.

Doch schon nach einer Stunde tauchen die ersten Probleme auf. Das Spaltengewirr des Matterhorn-Gletschers ist unheimlich. Für den Bergsteiger heißt es, eine fünf Meter hohe, senkrechte Randkluft zu überwinden. Zwischen nachtschwarzen Löchern und Schlünden geht es weiter. Und dann reckt sich über ihn eine 60 Grad steile, etwa 300 Meter hohe Eiswand – sein nächster Weg.

Fels und Schnee wechseln sich ab. Dachziegelartig geschichtete, vereiste Platten und senkrechte Felsaufschwünge, an denen die Steigeisen fast keinen Halt finden. Walter Hölzler kommt nur sehr langsam voran. Er spürt, wie seine Kräfte verschleißen, sich die Erschöpfung ankündigt. Und dann – in etwa 4000 m Höhe – beginnt für ihn ein Hexentanz der Nerven. Er hat sich in senkrechte Platten verstiegen…

Die Schwierigkeiten scheinen unüberwindbar. Verschiedene Versuche, vorwärtszukommen, misslingen. Er ist gefangen in der Wand. Er will etwas trinken und öffnet seinen Rucksack, dabei fallen seine Handschuhe (und auch seine Geldbörse) in die Tiefe. Über eine Stunde steht der 21-jährige, an einem Haken gesichert, in der Wand. Und immer wieder kreisen die gleichen Gedanken durch sein Gehirn. Du musst es schaffen, du musst es schaffen…

Nach langer Überlegung und Konzentration hat er nur eine Chance – der direkte Weg zum Gipfel, abseits der eigentlichen Route.  Bei bis zu 20 cm Neuschnee auf Felsplatten säubert er jeden Griff und Tritt mit schon angefrorenen Fingern und erreicht am Nachmittag, völlig erschöpft und ausgezehrt, sein Ziel.

Wie im Traum
Über den Hörnligrat steigt Walter Hölzler ab und erreicht gegen Abend die Hörnli-Hütte. Die Glückwünsche des Hüttenwirts nimmt der junge Bergsteiger wie im Traum wahr. Er ist zu erschöpft, um noch klar denken zu können. Hände und Füße schmerzen und die Kehle ist trocken. Er hat Hunger und Durst, aber seine Geldbörse liegt irgendwo in der unheimlichen Wand. Und ohne Barschaft will er nicht nach Speis und Trank fragen.

Er schläft neben der Hütte. Ein schwerer Schneesturm bringt in dieser Nacht zehn bis 30 Zentimeter Neuschnee. Doch der unerwartete Wetterumschwung kann dem Allgäuer Extremkletterer jetzt nichts mehr anhaben. Sein Traum ist in Erfüllung gegangen: der Alleingang durch die Matterhorn Nordwand.

Geschrieben: Rosmarie Kropka am 27. August 1986

Anmerkung:

Viele Jahre später bemerkte ich auf einem Bild mit Routenskizze, dass ich mich total verklettert hatte. Ich stieg nicht wie normal auf dem „Zmuttgrat“ rechts aus der Nordwand, sondern erreichte ein Stück unter dem Gipfel den „Hörnligrat“. Somit bin ich zu weit links durch die Gipfelflanke gestiegen und kann nachvollziehen, wieso es so schwer war, dort im Alleingang mit einem kaputten Eisgerät hochzuklettern.

Bei einem meiner zwei Eisgeräte brach im unteren Felsabschnitt die Haue ab. Ab diesem Zeitpunkt hatte ich nur noch eins. Während des Versuchs, dieses in meinem kleinen Kletterrucksack zu verstauen, fielen mir auch noch die Handschuhe und der Geldbeutel heraus. Ein Unglück kommt selten allein (Sprichwort)

Im Jahr 1986 gab es noch keine Internetverbindung, um aktuelle Routeninfos einzuholen. Es gab keinen speziellen Wetterbericht und kein Handy für Notrufe.

Das Einzige, was ich an Informationen hatte, war ein Bild aus dem Buch von Reinhold Messner „Die großen Wände“.